Beurons Weg in die Steiermark
Peter Wiesflecker
Die Kirchen- und Kunstgeschichte der Steiermark ist seit dem späten 19. Jahrhundert mit einem Zweig des Benediktinerordens, der Beuroner Kongregation, im Besonderen verbunden. 2025 sind es 150 Jahre, seit diese erstmals in der Habsburgermonarchie Fuß fasste, wenngleich nicht im damaligen Kronland Steiermark und auch nicht in Prag, das als Standort zweier Beuroner Niederlassungen besondere Bedeutung erlangen sollte, sondern im Servitenkloster von Volders in Tirol.
Teil der Renaissance des Ordenslebens
Das josephinische Staatskirchentum hatte nicht nur tief in die Klosterlandschaft der habsburgischen Erblande eingegriffen, sondern auch sein Verständnis blieb auf Jahrzehnte hinaus prägend. Danach sollten nur jene geistlichen Gemeinschaften Berechtigung und demnach Bestand haben, die „nützlich” waren. „Nützlich” war ein Apostolat wie der Unterricht, die Erziehung oder die Krankenpflege. Selbst Mitglieder des streng katholischen österreichischen Kaiserhauses teilten diese Ansicht, so auch Erzherzog Johann (1782–1859). Er fällte nach einem Besuch bei den Karmelitinnen von Gmunden das harsche Urteil Wozu? Sie thun doch gar nichts für ihre Nebenmenschen, während er etwa die Ursulinen, wie er 1826 an Anna Plochl (1804–1885) schrieb, für ein nützliches Kloster hielt.
Obwohl die Gründung neuer geistlicher Niederlassungen bis in den späten Vormärz hinein staatlicherseits strikten Bestimmungen unterlag und zudem eine breite Öffentlichkeit insbesondere kontemplativen Gemeinschaften mit Vorbehalten begegnete, kam es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch in der Habsburgermonarchie zu einer Renaissance des Ordenslebens.
Von besonderer Bedeutung waren dabei die sogenannten ‚neuen’ Orden. Es waren dies Gemeinschaften, die sich insbesondere der Krankenpflege oder Erziehung widmeten, aus ihrer Tätigkeit auch Einnahmen lukrierten und daher nicht auf Einkünfte aus Stiftungen, ausgedehntem Grundbesitz oder – im Fall weiblicher Gemeinschaften – auf eingebrachte Mitgiften angewiesen waren. Damit wurde ein „Klosterberuf” auch für Angehörige des Kleinbürger- und Bauerntums verstärkt möglich. Insbesondere die Gründungen des 19. Jahrhunderts erschlossen Frauen aus diesen Gesellschaftsschichten den Weg in eine geistliche Gemeinschaft. Stellvertretend seien hier die „Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul” genannt, die 1841 nach Graz gekommen waren, oder die seit 1870 in der Steiermark tätigen sogenannten „Kreuzschwestern” („Barmherzige Schwestern vom hl. Kreuz”). Beide mitgliederstarken Gemeinschaften strahlten mit ihren Filialinstituten weit über die Steiermark hinaus.
Zeitgleich gab es aber auch eine Rückkehr der sogenannten ‚alten’ Orden, wobei manche Neugründung bewusst an monastische Traditionen anknüpfte, die nicht recht in die ‚Moderne’ des späten 19. Jahrhunderts zu passen schienen. Ein besonderer Impuls zur Erneuerung benediktinischen Lebens war von der französischen Abtei Solesmes unter ihrem Gründer Dom Prosper Guéranger (1805–1875) ausgegangen. Die Wiederbelebung des Gregorianischen Chorals und eine besonders feierliche (römische) Liturgie, die bereits wesentliche Aspekte der (späteren) liturgischen Bewegung beinhaltete, aber auch eine unbedingte ultramontane Ausrichtung waren Schwerpunkte dieses monastischen Selbstverständnisses.
Prägend sollte ein solches Selbstverständnis auch für eine deutsche Klostergründung werden, die das Brüderpaar Maurus (1825–1890) und Placidus Wolter (1828–1908) seit 1863 in Beuron (Baden-Württemberg) umsetzen. Placidus (Ernst) Wolter war 1855 in die römische Benediktinerabtei St. Paul vor den Mauern eingetreten. 1856 folgte ihm sein Bruder Rudolf (Ordensname: Maurus), der bis dahin Weltpriester gewesen war. In Rom hatten die Brüder die Bekanntschaft mit der verwitweten Fürstin Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen, einer geborenen Prinzessin Hohenlohe (1817–1893), gemacht. Die zweifache Witwe trat 1858 in das römische Kloster SantʼAmbrogio della Massima ein. Ihr kurzes Klosterleben wurde vom Kirchenhistoriker Hubert Wolf in dem Buch „Die Nonnen von SantʼAmbrogio” dargestellt. Nachdem sie das Kloster verlassen hatte, wurde Maurus Wolter ihr Beichtvater. Mit Hilfe des Brüderpaares setzte Katharina den Plan einer benediktinischen Klostergründung in Deutschland um. 1863 erwarb die Fürstin von ihrem Stiefsohn den Komplex des 1803 säkularisierten und an die katholische Linie des Hauses Hohenzollern gekommenen Chorherrenstiftes in Beuron, das nunmehr zum Benediktinerkloster wurde. Zuvor hatte Maurus Wolter in Solesmes ein zweites Noviziat absolviert. 1868 wurde Beuron zur Abtei erhoben und Maurus Wolter zum ersten Abt ernannt. Zum damaligen Zeitpunkt war Beuron das einzige Benediktinerkloster im sich formierenden Deutschen Reich außerhalb Bayerns. 1869 folgte eine erste Tochtergründung, das Priorat Arnstein im ehemaligen Herzogtum Nassau, das jedoch bereits 1871 aufgegeben werden musste. Erfolgreicher war das Fußfassen in Belgien. 1872 wurde von Beuron aus die spätere Abtei Maredsous gegründet, der Placidus Wolter vorerst als Prior und seit 1878 als Abt vorstand.
Aristokratische Netzwerke
Das Kapital vom Maredsous hatte die belgische Verlegerfamilie Desclée zur Verfügung gestellt. 1893 folgte mit weiteren Mitteln dieser Familie die Gründung des Beuroner Frauenklosters Maredret, dessen Gründungskommunität aus Ste. Cecile, der weiblichen Niederlassung von Solesmes, stammte. Erste Äbtissin von Maredret war Cecile de Hemptinne (1870–1948), eine belgische Industriellentochter mit entsprechender finanzieller Ausstattung.
Sowohl Solesmes wie auch Beuron kennzeichneten ein gutes, insbesondere aristokratisches Netzwerk, und dies über mehrere Jahrzehnte. Als die Benediktiner von Solesmes Frankreich im Zuge des Kulturkampfes verlassen und nach Großbritannien ausweichen mussten, erwies sich die dort im Exil lebende Witwe Napoleons III., Kaiserin Eugenie (1826–1920), als tatkräftige Förderin der Gemeinschaft. Aber auch Beuron besaß zunehmend erstklassige Verbindungen, die Kreise des habsburgischen Hofadels, der Hocharistokratie und schließlich auch Mitglieder regierender Häuser einschlossen. Dies sollte auch für den Weg der Beuroner Kongregation in die Habsburgermonarchie bestimmend sein.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ist – wenngleich nicht als Grundzug, so doch – bei einflussreichen Mitgliedern des österreichischen Kaiserhauses eine Wiederaufnahme von Formen althabsburgischer Pietas zu vermerken. Während Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) nach 1867 öffentlich nur jene religiösen Akte setzte, die das Zeremoniell des Wiener Hofes vorsah (Fußwaschung am Gründonnerstag und Teilnahme an der Fronleichnamsprozession), kennzeichnete etwa seinen Bruder Erzherzog Carl Ludwig (1833–1896) eine prononciert kirchen- und papsttreue Haltung. Gleiches galt später für Carl Ludwigs Schwiegertochter und Mutter des letzten österreichischen Kaisers Karl I., die sächsische Prinzessin Maria Josepha (1867–1944), sowie die mit der Familie des Erzherzogs verwandten exilierten spanischen Bourbonen und die Bourbonen von Parma sowie für einen ebenfalls im Exil lebenden Zweig des portugiesischen Königshauses. Alle diese Familien waren wiederum eng mit standesherrlichen Familien aus Süddeutschland, insbesondere den Fürsten von Löwenstein-Rosenberg, verbunden. Diese nahmen in der Führung der deutschen Katholiken seit der Bismarckzeit eine führende Rolle ein, u. a. als Präsidenten des sog. Zentralkomitees der Deutschen Katholiken.
Auch in der habsburgischen Hofgesellschaft mit ihren verwandtschaftlichen Verbindungen zu Familien des katholischen süddeutschen und westfälischen hohen Adels gab es zwei Gruppen. Dazu bemerkt Aloys (Prinz) Auersperg (1897–1984) in seinen Lebenserinnerungen: Es war aber [...] unter meinen Verwandten und Bekannten eine gewisse [...] Cliquenbildung. Im Grundsatz waren sie sich zwar völlig einig, nur in der Ausübung und Intensivität derselben gab es kleine Unterschiede. Da waren Familien, die Adalbert Sternberg in seinen Memoiren als „haute pietè” bezeichnete. Der Grundton war hier das Leben selbst und [die] den Alltag erfassende und bestimmende Gläubigkeit, bei vielen aber auch dabei [...] etwas zu schwerpunktmäßig auf die „kirchlichen Vorschriften” in der Einstellung verzogen. So galt bei solchen es eigentlich schon als Todsünde, vor dem Sakrament Wasser getrunken zu haben. [...] Auch in Fragen der Liebe war man strenger als Christus mit Maria Magdalena. [...] Die andere Clique stand von erster in Verdacht vom Liberalismus angekränkelt zu sein. Tatsächlich verstanden sie sich auch als „aufgeklärte Verstandesmenschen”. Begriffe wie Hölle oder Fegefeuer [wurden] als sogenannter „Köhlerglauben” abgelehnt, ebenso wie Rauchzeichen bei der Papstwahl oder die Rufe „habemus papam” als überflüssiges Theater. [...] Ihr Liberalismus war kein „Freidenken”, sondern nur ein freieres Denken und Widerspruch gegen obgenannte Verwandte der „haute pietè”.
Angehörige dieser haute pietè waren es, die der Beuroner Kongregation nicht nur das Fußfassen in der Habsburgermonarchie wesentlich erleichterten, sondern – auch in materieller Hinsicht – zu ihren großen Förderern wurden.
Beuron – Volders – Prag
Erstmals schlagend wurden diese Verbindungen, als die Gemeinschaft von Beuron im deutschen Kulturkampf der Bismarckzeit 1875 ihr Kloster verlassen mussten. Als geborene Prinzessin Hohenlohe besaß Katharina von Hohenzollern ein weitgespanntes familiäres Netzwerk. Obersthofmeister und damit der oberste Funktionsträger am Wiener Hof war damals Konstantin Prinz Hohenlohe (1828–1896), ein Bruder des späteren deutschen Reichskanzlers Chlodwig Hohenlohe-Schillingsfürst (1819–1901) und des Kardinals Gustav Hohenlohe (1823–1896).
Konstantin Hohenlohe verschaffte Maurus Wolter ein Entree bei Kaiser Franz Joseph. In einer Audienz Anfang November ersuchte der Abt den Monarchen um Asyl für seine Gemeinschaft, der mit Anfang Dezember 1875 die Ausweisung aus dem Deutschen Reich drohte, und benannte zwei mögliche Standorte in der Habsburgermonarchie: das verwaiste Servitenkloster in Volders und das Kloster in Maria Plain. Letzteres hatte der Abt von St. Peter und spätere Salzburger Erzbischof Franz Albert Eder (1818–1890) angeboten. Der Kaiser konnte vorerst keine Zusage machen und wies Wolter auf die Schwierigkeiten hin, da mit Widerstand seitens des liberalen Kabinetts gegen die Niederlassung eines ausländischen Konvents zu rechnen war. Der Kompromiss, der – immerhin binnen zwei Wochen gefunden wurde – war der, dass eines der beiden Klöster als künftiger Sitz der Kommunität, auf den auch die (kirchenrechtlich nach wie vor bestehende) Abtei übertragen wurde, gestattet wurde. Die Hälfte des 70 Mitglieder zählenden Konvents übersiedelte Anfang Dezember 1875 nach Volders, ein kleinerer Teil kam nach Maredsous, 22 Konventualen verblieben in der Umgebung von Beuron.
Der Klosterbau in Volders war für ein Leben nach Beuroner Entwurf nur bedingt geeignet. Er war räumlich beengt, der Klausurbereich war unbefriedigend und die barocke Kirche, die zugleich Wallfahrtskirche war, bot nur wenig Platz für das Chorgebet und die Liturgie. Einen Verkauf des Komplexes, der entsprechende Baumaßnahmen zugelassen hätte, lehnten die Serviten jedoch ab.
1878 lud der Prager Erzbischof Friedrich Kardinal Schwarzenberg (1809–1885) Maurus Wolter ein, sich in seiner Diözese nach einem geeigneten Standort umzusehen. Wolters Wahl fiel schließlich auf das 1347 von Kaiser Karl IV. gegründete Benediktinerkloster Emaus in Prag, in dem damals nur noch zwei Konventualen lebten. Schwarzenberg trug den Wunsch Wolters Kaiser Franz Joseph vor, und im ersten Jahresviertel 1880 wurde dieses königliche Stift der Beuroner Kongregation in Form einer kaiserlichen Schenkung übertragen.
Der neue Standort war bis zur Rückkehr der Kommunität nach Beuron (1890) nicht nur Sitz der Abtei, sondern sollte für die Etablierung der Kongregation in der Habsburgermonarchie von besonderer Bedeutung werden. Emaus war zum einen spirituelles Zentrum für die haute pietè der österreichischen Aristokratie und zum andern vor allem Motor für die Gründung neuer Beuroner Niederlassungen, u. a. von St. Gabriel, des ersten Frauenklosters der Beuroner Kongregation, das 1889 im Prager Vorort Smihov errichtet wurde. Einige Jahre zuvor war von Emaus aus die Wiederbesiedelung Seckaus erfolgt. Damit war eine Mönchsgemeinschaft an die Wiege der Diözese Seckau zurückgekehrt.
Von Prag nach Seckau
Bereits das Episkopat von Fürstbischof Roman Sebastian Zängerle (reg. 1824–1848) hatte die Renaissance der steirischen Ordenslandschaft eingeleitet. Neben ‚alten’ Orden wie den Karmelitinnen (Grabenstraße in Graz) oder den Jesuiten hatte der Fürstbischof auch neue Gemeinschaften ins Land geholt, u. a. die bereits genannten Barmherzigen Schwestern. Unter Fürstbischof Johann Baptist Zwerger (reg. 1867–1893) erfolgten weitere Berufungen. Er war es, der den Emautiner Konvent, dessen Mitgliederzahl rasch angestiegen war, einlud, in die Steiermark zu kommen, und dafür auf den Komplex des ehemaligen Chorherrenstiftes Seckau mit einer einstigen Bischofskirche aufmerksam gemacht hatte.
Wie im Fall anderer, unter Joseph II. aufgehobener geistlicher Standorte hatte der Staat auch im Fall von Seckau den einstigen Klostergebäuden nur bedingt Aufmerksamkeit geschenkt. Die Nutzung war – euphemistisch gesprochen – zwar multifunktional, jedoch dem baulichen Zustand nicht sonderlich förderlich. Der ausgedehnte Gutsbesitz war bereits 1823 von der Radmeister-Kommunität erworben worden.
Als Brückenbauer zwischen Prag und Graz sowie der Diözese, der Beuroner Kongregation und der Politik sollte sich Prälat Alois Karlon (1835–1902) erweisen. Als Domkapitular, Landtags- und Reichsratsabgeordneter sowie Obmann des Katholischen Pressvereins besaß er die notwendigen Verbindungen und war zudem ein geschickter Verhandler.
Am 9. Juli 1883 kamen die ersten Emautiner Konventualen unter der Leitung des bisherigen Cellerars P. Ildefons Schober (1849–1918) nach Seckau. Das erste offizielle Gotteslob fand am 8. September 1883 in Anwesenheit von Fürstbischof Zwerger und Abt Maurus Wolter statt. Die Seckauer Gründungsgemeinschaft umfasste 16 Koventualen. Zum Prior hatte man den erst 30jährigen P. Willibrord Benzler (1853–1921) ernannt. 1892 setzte dieser die Gründung von Maria Laach um, dessen erster Abt er wurde. 1901 wurde er zum Bischof von Metz ernannt. Er und Ildefons Schober, der vorerst von Seckau nach Prag zurückgekehrt war, dort als Prior fungierte und 1887 der erste Abt von Seckau wurde, gehören zu herausragenden Persönlichkeiten und prägenden Gestalten der Beuroner Gründerzeit. Ihre Tätigkeit beschränkte sich nicht nur auf den Aufbau und die Leitung ihrer jeweiligen Kommunität. Die Etablierung eines monastischen Lebens in Seckau war eine Herausforderung. Der schlechte Zustand der nunmehrigen Klostergebäude manifestierte sich 1886 im Einsturz des Nordturmes.
Profile – Positionen – Transformationen


Nach der Aufhebung der Landesverweisung des Beuroner Konvents aus dem Deutschen Kaiserreich wurden gewichtige Stimmen laut, Seckau als Standort wieder aufzugeben. Erzabt Maurus Wolter, der zeitweise in Seckau residiert hatte, entschied jedoch anders: Seckau wurde zur Abtei erhoben und Ildefons Schober als Abt eingesetzt. Er sollte – so Othmar Stary in einem Abriss der Geschichte der Seckauer Kommunität – in der Folge ein gewaltiges Aufbauwerk [vollbringen], das nicht nur die materielle Grundlage für die Entfaltung des Klosters sicherstellte, sondern auch die geistliche Formung der Gemeinschaft sowie die Sicherung von Arbeitsgebieten für die Tätigkeit der Mönche umfasste. Knapp nach der Jahrhundertwende zählte der Konvent bereits 103 Mitglieder.
Der Seckauer Abt Schober war ohne jeden Zweifel eine der profiliertesten Erscheinungen in der Beuroner Führungsriege dieser Zeit. 1908 wurde er in der Nachfolge von Maurus und Placidus Wolter zum dritten Erzabt von Beuron gewählt. Man ist versucht zu sagen: Gleichsam eine logische Entscheidung, wenn man die Aufgaben, die ihm seit den 1890er Jahren von der Kongregation übertragen worden war, betrachtet. Mitte der 1890er Jahre visitierte er die portugiesischen Benediktinerklöster, von 1896 bis 1902 war er Generalsuperior des Benediktinerordens. Prägend war er auch als Visitator der Klöster der eigenen Kongregation. Anlässlich der Visitation der Prager Abtei St. Gabriel, des ersten Beuroner Frauenklosters, ließ er 1905 verlauten, er habe schon viele Frauenklöster [...] visitiert, beinahe überall sei die Visitation zu einem Ausgießen von Klagen und Beschwerden gegen die Mitschwestern benützt worden. Nicht jedoch in dieser Kommunität. Er wusste – so hielt die Chronistin von St. Gabriel mit sichtlichem Stolz fest – auch den Grund dafür anzugeben. Besonders habe ihm eines imponiert, daß er in St. Gabriel keine „Weiber”, sondern mutige männliche Seelen gefunden habe. Dass keine Klagen geäußert worden waren, war in den Augen von Schober das Anzeichen eines männlichen, nicht kleinlichen Geistes im Konvent.
Das 1889 in Prag gegründete Kloster St. Gabriel besaß als erstes Frauenkloster der Beuroner Kongregation eine besondere Bedeutung. Mit dieser Gründung sollte das spezifische monastische Profil Beurons auch für Frauengemeinschaften umgesetzt werden. Der Konvent, dessen funktionaler, am Reißbrett entworfener Klosterbau aus den Mitteln der böhmischen Aristokratin Gabriele Sweerts-Sporck (1847–1884) errichtet worden war, war – wie Seckau – ein „boomender Konvent”. In ihn traten auch zahlreiche Damen der österreichischen und süddeutschen Hocharistokratie ein. Diese besaßen sowohl entsprechende Kontakte wie auch entsprechende Mittel. Bereits 1904 wurde von St. Gabriel aus das Kloster St. Hildegard bei Eibingen gegründet, dessen Stiftungskapital Karl Fürst Löwenstein-Rosenberg (1834–1921) zur Verfügung gestellt hatte.
Unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entschied sich der Konvent von St. Gabriel – nicht unbedingt in Übereinstimmung mit der Beuroner Kongregation – zu einer Übersiedelung in die Steiermark. Seit 1919 wurde die alte südoststeirische Grenzburg Bertholdstein sukzessive als Kloster für rund 100 Konventualinnen adaptiert. Den Ankauf hatten die Mutter und zwei Schwestern der späteren zweiten Äbtissin von St. Gabriel, Benedikta von Schwarzenberg (1865–1943), (vor)finanziert, einen Teil der Kosten der Umbaumaßnahmen wurde durch die Mitgift und Ausstattung einer Gräfin Esterházy, einer Nichte Schwarzenbergs, aufgebracht.
Zeitgleich hatte der damalige Abt von Seckau Laurentius Zeller (1873–1945) mit seinem Konvent die Wiederbesiedelung von St. Matthias in Trier umgesetzt. 1924 erfolgte gemeinsam mit der Abtei St. Gabriel die Gründung eines weiteren Beuroner Frauenklosters, der heutigen Abtei Kellenried (Diözese Rottenburg). Ein Teil des Kapitals dafür stammte aus Gurk, wo von 1890 bis 1922 ein Benediktinerinnen-Priorat des Nonnberges bestanden hatte. Nach dem Entschluss, den Gurker Standort aufzugeben, ersuchten der Nonnberg und Gurk Abt Zeller, die Gründung einer benediktinischen Niederlassung Beuroner Provenienz in Deutschland in die Wege zu leiten. Als Mutterkloster, in dem zudem die bisherigen Gurker Konventualinnen in die Beuroner Spiritualität eingeführt wurden, fungierte die Abtei St. Gabriel. Am 7. September 1924 erfolgte der offizielle Einzug der Gründungskommunität in Kellenried.
Die Verbindungen zwischen den beiden Beuroner Standorten in der Steiermark – Seckau und St. Gabriel – waren naturgemäß eng. Dem jeweilige Seckauer Abt kam als abbas proximus eine gewisse Leitungs- und Aufsichtsfunktion zu. So wurden etwa die Klausurlizenzen, also die Berechtigung, die strenge Klausur verlassen zu dürfen, durch ihn erteilt. Vor allem aber oblag den Seckauer Konventualen auch die geistliche Betreuung der Ordensfrauen auf der Klosterburg Bertholdstein.
Damit besaßen jene Beuroner Oberen, die – wie der späteren Erzabt Benedikt Reetz (1897–1964) – zuvor in Seckau tätig gewesen waren, einen guten Blick auf diese steirische Frauenkommunität und ihre Erfordernisse. Liest man etwa heute die sogenannten Rezesse der unmittelbaren Zeit vor dem Zweiten Vatikanum, in denen Erzabt Reetz seine Befunde zu dieser Frauengemeinschaft zusammengefasst hat, so weisen ihn diese als ungemein klarsichtigen Beobachter aus, der u. a. die Trennung in Chorfrauen und Laienschwestern für überholt hielt: Die soziologischen Umschichtungen der letzten Jahrzehnte, das allgemein gestiegene Bildungsniveau aller Staatsbürger, der Geist der Demokratie und die Gleichberechtigung lassen es ganz unmöglich erscheinen, das Schwesterninstitut im bisherigen Sinn aufrechtzuerhalten, hielt er fest. Zukünftig werde es, so Reetz, zu einer Annäherung der beiden Kategorien kommen. Konkret empfahl er, die Ökonomie, in der die Laienschwestern überwiegend eingesetzt waren, möglichst zu verkleinern. Wenn die Arbeit einmal so anwächst, dass das geistliche Leben in Gefahr gerät, dann verliert unser klösterliches Leben seinen Sinn, und der Beruf kann zerbrechen.
2007 fiel in St. Gabriel die Entscheidung, Bertholdstein als Standort aufzugeben, zudem die Beuroner Kongregation zu verlassen und sich als Priorat einer anderen benediktinischen Frauengemeinschaft anzuschließen. Diese Entscheidung war nicht unumstritten. Die Erwartungen, die man in St. Gabriel damit verbunden hatte, haben sich nicht erfüllt. 2023 wurde der Standort in St. Johann bei Herberstein, wohin die Gemeinschaft übersiedelt war, aufgegeben. Dies bedeutete auch das Ende des gemeinschaftlichen Lebens des ausklingenden Konvents, dem heute nur noch zwei Mitglieder angehören, die allerdings an unterschiedlichen Orten leben.
Ein Resümee

Mit seinen Tochtergründungen, vorerst in Belgien, in Prag und der Steiermark, denen rasch weitere Niederlassungen folgten, sollte sich Beuron nicht nur in der (mittel)europäischen Ordenslandschaft nachhaltig positionieren. Neben der feierlichen Liturgie, insbesondere der Wiederbelebung des gregorianischen Chorals, oder den wissenschaftlichen Unternehmungen entstand in und durch Beuron eine eigene religiöse Kunstrichtung, die Kirchen und Klöster in ganz Westeuropa, aber auch bis nach Nord- und Südamerika prägen sollte: die Beuroner Schule. Daran hatten und haben auch die beiden steirischen Niederlassungen, der Konvent in Seckau und die Abtei St. Gabriel, einen besonderen Anteil und mit ihnen auch die Steiermark.
Literatur (in Auswahl):
- Stephan Petzold, Volders-Beuron. In: Germania Benedichtina. Die Benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol. Bearbeitet von Ulrich Faust OSB und Waltraud Krassnig. Bd. III/3 (St. Ottilien 2002), 768–778.
- Stephan Petzold, Die Gründungs- und Entwicklungsgeschichte der Abtei Beuron im Spiegel ihrer Liturgie (1863–1908) (Würzburg 1990).
- Benno Roth, Seckau. Erbe und Auftrag. Ein Gang durch seine Geschichte, Kunst und Kultur (Wien 1960).
- Benno Roth, Warum und wie kam es zur Wiederbesiedelung des ehemaligen Augustinerchorherren- und Domstiftes Seckau am 8. September 1893. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 93 (1982/1), 1010–1034.
- Othmar Stary, Seckau. In: Germania Benedictina. Die Benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol. Bearbeitet von Ulrich Faust OSB und Waltraud Krassnig. Bd. III/3 (St. Ottilien 2002), 485–521, v. a. 506–515.
- Ulrike Wagner-Höher, Die Benediktinerinnen von St. Gabriel/Bertholdstein (1889–1919) (= Studien zur monastischen Kultur 1, St. Ottilien 2008).
- Peter Wiesflecker, „... man erwartet von Euch keine Heiligen ...”. Struktur und Transformation geistlicher Frauengemeinschaften im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel der Grazer Karmelitinnen, der Benediktinerinnen von St. Gabriel und der Vorauer Marienschwestern (= Grazer Universitätsverlag, Allgemeine wissenschaftliche Reihe 39, = Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 72, Graz 2015).
- Peter Wiesflecker, Gurk – Bertholdstein – Kellenried. Notizen zu einer steirisch-kärntnerischen Klostergründung im Deutschland der frühen 1920er-Jahre. In: Jahrbuch des Steiermärkischen Landesarchivs 6 (2023), 225–234.
ArR Priv.-Doz. Mag. DDr. Peter Wiesflecker MAS, LL.M., MA, Studien der Geschichte, Archivwissenschaft, Geschichtsforschung und des Kirchenrechts in Wien und der Religionswissenschaften in Graz, seit 1998 wissenschaftlicher Beamter am Steiermärkischen Landesarchiv; Privatdozent für Österreichische Geschichte an der Universität Graz, Lehrbeauftragter für Archivwissenschaft an den Universitäten Wien und Graz sowie für Österreichische Geschichte/Archivwissenschaft an der Universität Klagenfurt. Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark;
Forschungsschwerpunkte: Österreichische Geschichte, Landesgeschichte, Adelsgeschichte, Kirchenrecht, Volkskunde und Archivwissenschaften.